Kalifornisches Flair zieht in Leubsdorf ein

Filmemacherin Becky Taylor-Hellwig tauscht ihr wildes Großstadtleben gegen eine bodenständige Dorfgemeinschaft. Ihren Esprit und ihr Engagement bringt sie in ihrer neuen Heimat mit Leidenschaft ein.

Was bewegt eine Kalifornierin, ein völlig anderes Leben zu wählen und den fernen Sonnenstaat einzutauschen gegen ein kleines beschauliches Dorf in Mittelsachsen? Wenn man die aufgeschlossene Amerikanerin von ihrer alten Heimat sprechen hört, wird der Unterschied deutlich: „Ich bin im Silicon Valley in Kalifornien aufgewachsen. Sonnenschein, buntes Stadtleben, Menschen mit unterschiedlicher Herkunft und lange gemeinsame Abende sind dort allgegenwärtig“.

In den 40 Jahren, in denen sie im Sonnenstaat lebte und studierte, hatte sie immer wieder Berührungspunkte mit Deutschland. Bereits in jungen Jahren pflegte sie eine Brieffreundschaft mit einem deutschen Mitglied eines Elvis Presley Fanclubs und lebte unter anderem zusammen mit einem Deutschen in einer Wohngemeinschaft.

Mit Anfang 20 arbeitete sie beim Roten Kreuz, das auch in Amerika vertreten ist. Dort lernte sie über eine Angestellte ihren Mann kennen, der ursprünglich aus dem Ruhrgebiet stammt und zu der Zeit als Wissenschaftler am IBM Research Center in San José, Kalifornien, tätig war. 2004 heiratete das junge Paar und wohnte für einige Jahre gemeinsam in Kalifornien. Vier Jahre später kündigte sich der erste Familienzuwachs an. Ihre Tochter und die Zwillinge wachsen von Beginn an zweisprachig auf, wobei ihr Mann Deutsch und sie selbst Englisch mit den Kindern spricht.

Nach elf Jahren wird die Sehnsucht nach mehr Zeit mit den Großeltern in Deutschland so groß, dass die Familie über einen Umzug nachdenkt. Auch die Aussicht auf einen Job an der Technischen Universität in Chemnitz für den Mann bestärkt das Vorhaben und sie gehen auf die Suche nach einem gemeinsamen Nest im Umkreis der Arbeitsstätte.

In Mittelsachsen findet sich der ideale Platz für Familie und Gäste

In Leubsdorf entdecken sie 2016 ein geeignetes Haus. Mit dem Verkäufer vereinbaren die Zuzügler einen Deal: Wohnen auf Probe für sechs Monate, um das Landleben zu testen  - schließlich ist der Umbruch von lebendiger Großstadt zu ruhigem Dorf beachtlich. Schon nach drei Monaten war für die quirlige Südstaatlerin klar: „Ich will zurück!“ Das gewohnte Gefühl der alten Heimat mit den vielen Angeboten, gemeinschaftlichen Unternehmungen und kreativen Aktivitäten fehlte zu sehr. Ihr Mann aber plädierte für das Leben auf dem Land. Auch den Kindern gefiel es im Dorf: „Den Fußballplatz mochte ich von Beginn an am liebsten“, erinnert sich die 10-jährige Zwillingsschwester Rosalee. Die aufgeweckten Kinder fanden nach dem Hauskauf schnell Freunde und begeisterten sich für das Reiten im Nachbardorf.

Als studierte Soziologin für die Bereiche Community Change, Integration und Frauenrecht sah die frische Mittelsächsin das als Herausforderung, um die neue Heimat etwas mehr zu beleben und Gemeinschaftlichkeit zu fördern. Sie gründete eine Fraueninitiative im Dorf, die sofort großen Zuspruch erhielt. Daraus entstehen heute regelmäßig gemeinsame Aktivitäten wie Kräuterwanderungen, Buchlesungen, Fahrten in die Großstädte und Weinabende im eigenen Heim. „Unser Haus ist offen und es gibt immer Platz für neue Leute“, betont sie und deutet dabei auf ihren großen runden Tisch.

Während sie noch zu Beginn ihrer Zeit im Dorf drei Mal die Woche Kaffee trinkend beim örtlichen Bäcker saß um unter Leute zu kommen, melden sich lieb gewonnene Nachbarn und neue Freunde heute von ganz allein: „Wir treffen uns auch, um gemeinsam zu musizieren oder einfach nur zu plaudern“. Und in ihrem Gewächshaus, in dem andere Gemüse anbauen würden, findet man bei ihr eine Sitzecke auf sandigem Boden wieder: „Für ein bisschen kalifornisches Feeling hat mich mein Mann damit überrascht“.

Das Miteinander bedeutet ihr viel und sie hat es geschafft, diesen wichtigen Aspekt in ihr neues Leben zu integrieren.

Ihre Muttersprache setzt sie dafür ebenfalls ein. In der Villa Gückelsberg in Flöha leitet sie seit einiger Zeit regelmäßig ein English Café, eine Art Sprachtandem in gemütlicher Atmosphäre.

Wenn sie nicht gerade ehrenamtlich unterwegs ist, schreibt die Filmemacherin Konzepte für neue Projekte. Ihr jüngster Film „Open Doors“ feierte im Oktober 2022 Premiere. Er zeigt den Weg von drei Menschen mit unterschiedlichem Migrationshintergrund und greift dabei individuelle Gefühlswelten auf: Angst bei der Flucht, Mut während des Ankommens und Freude über all das Entstandene in der neuen Heimat. Die Protagonisten selbst lernte sie im Deutschkurs kennen, an dem sie seit 2018 teilnimmt.

Die Suche nach neuen beruflichen Beziehungen war es auch, durch die sie zur Nestbau-Zentrale fand: „Ich erhielt hilfreiche Kontakte und konnte mein eigenes Netzwerk vergrößern und davon profitieren“ erinnert sie sich.

Sie reist heute immer noch gern in die deutschen Großstädte und auch nach Kalifornien. Die Stimmungen während der verschiedenen Jahreszeiten, der bunte Herbst oder auch die heimelige Atmosphäre zu Weihnachten, vermisst sie dann aber doch sehr. Und so kommt sie immer wieder gern zurück in ihre neue Heimat im mittelsächsischen Leubsdorf.


Meine Tipps für das Ankommen in Mittelsachsen

Becky Taylor-Hellwig am Eingang ihres Gewächshauses

"Aus eigener Erfahrung kann ich euch empfehlen, eine Bezugsperson zu finden, die vom Leben in der neuen Heimat berichten und damit zur Integration unterstützend zur Seite stehen kann. Das sächsische Förderprojekt PROFIL+, das Mentoring für Migrantinnen anbietet, ist außerdem hilfreich."

Text: Helen Bauer, Bilder: Miriam Sawitzki